Der heimische „Epidemiebote“ hält sich an die Osterruhe. Keine neuen Verordnungen. „Der Epidemiebote hat sich die Aufgabe gestellt, unsere Mitbürger mit gewissenhafter Unabhängigkeit über die Fortschritte oder das Nachlassen der Krankheit zu unterrichten; ihnen die berufensten Ansichten über die Zukunft mitzuteilen; allen Bekannten oder Unbekannten, die die Geißel bekämpfen wollen, die Unterstützung seiner Spalten zu gewähren; den inneren Halt der Bevölkerung zu kräftigen, die Anweisungen der Behörden bekanntzugeben; mit einem Wort, alle diejenigen, die guten Willens sind, zu sammeln, um wirksam gegen das Unglück, das uns trifft, zu kämpfen.“ (©Camus).
Japans „Epidemiebote“ sitzt auf einem eleganten Sofa, ein Tässchen Tee in der Hand, einen süßen schwarzen Hund auf dem Schoß, und fordert die Bevölkerung auf, von nun an zu Hause zu bleiben. Das Setting kam gar nicht gut. „Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?!“ richtete einer dem japanischen Ministerpräsidenten via Twitter aus, bar jeder höflichen Zurückhaltung, „Wir versuchen zu überleben, und Sie zeigen uns dieses Video von Ihrem Luxusleben!“ Schon hatte ich geglaubt, dass die japanische Höflichkeit und Etikette mit ihrem kulturell-verwurzelten Abstandhalten und Maskentragen das Inselreich von Corona weitgehend verschont habe. War doch dort das kollektive und feucht-fröhliche hanami, das Bestaunen der Kirschblüte, noch zu einem Zeitpunkt möglich, als wir hier das Haus längst nur mehr in den erlaubten seltenen Fällen verließen. Einzeln. Maximal zu zweit. Dann hatte Abe Ende März an die Menschen in Tokyo, Osaka und anderen Großstädten appelliert, doch dieses Wochenende mal freiwillig zu Hause zu bleiben. „Wir machen dieses Wochenende social distancing“, ulkte eine Freundin. Eine Woche zuvor war die Austragung der Olympischen Sommerspiele in Tokyo wegen der weltweiten COVID-19-Pandemie um ein Jahr verschoben worden. Und nun steigen auch in Japan die Fälle, wird das öffentliche Leben nach und nach heruntergefahren. Ist über vorerst sieben Präfekturen der Ausnahmezustand verhängt worden. Die Universität meiner ehemaligen Studentin Yui hat bis September Online-Unterricht verhängt. Yui schickt mir eine Liste mit Vorschriften, an die sie sich halten muss. Alle Studierenden sind angehalten, nicht auszugehen und keine Reisen zu unternehmen, außer in unbedingt notwendigen und dringenden Fällen. Gehört unser Hiroshima-Projekt dazu? Aus der Sicht der japanischen Behörden wohl eher nicht. Mit Yui als einer meiner wichtigsten Protagonistinnen wollte ich einen Film zum 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima drehen. Es sollte eine Spurensuche mit der Enkelgeneration werden. Yuis Großvater war ein hibakusha, ein Überlebender der Atombombe. Sie hat seine Geschichte aufgearbeitet und niedergeschrieben, und arbeitet nun an ihrer Dissertation über die Traumatisierung von Atombombenüberlebenden. Es wird ein Pionierwerk werden, denn darüber hat in Japan bislang noch niemand geforscht.
Der Chef der japanischen SoftBank Gruppe, Masayoshi Son, hat unterdessen einen Deal mit dem chinesischen Elektroautohersteller BYD geschlossen, der auf Maskenproduktion umgestellt hat. Der Kommunikations- und Medienkonzern SoftBank kauft von BYD 300 Millionen Gesichtsmasken pro Monat. SoftBank gibt sie an die Japaner*innen weiter, ohne Profit dabei zu machen, wie Son betont. Und die Regierung Abe lässt zwei waschbare Masken pro Person über das Verteilsystem der japanischen Post an die Haushalte liefern.
Japan habe die tatsächlichen Zahlen der Corona-Erkrankungen verschleiert, und Maßnahmen verzögert, um die Austragung der Olympischen Spiele nicht zu gefährden, meinen böse Zungen. Erst seit klar ist, dass es heuer keine Spiele gibt, sammelt auch in Japan der Epidemiebote „alle diejenigen, die guten Willens sind, um wirksam gegen das Unglück, das uns trifft, zu kämpfen.“ (©Camus).